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„Raum für das, was zwischen den Zeilen steht“ – Dietlind Köhncke im Interview

Fünf Fragen an Dietlind Köhncke zu ihrem neuen Roman „Grenzwege. Eine Jugend im geteilten Deutschland“


Frau Köhncke, herzlichen Glückwunsch zum Erscheinen Ihres autofiktionalen Romans „Grenzwege“! Wie lange haben Sie an dem Buch gearbeitet?

Ungefähr ein Jahr.


In Ihrem ersten Buch „Die Wörtersammlerin“ erzählen Sie von einer Kindheit. Wann hatten Sie die Idee oder das Bedürfnis, auch Ihre Jugenderinnerungen literarisch fiktionalisiert niederzulegen?

Als „Die Wörtersammlerin“ veröffentlicht war, wurde ich immer wieder gefragt, wie es denn mit Lily weitergehe und ob ich nicht eine Fortsetzung schreiben könne. Ich hatte zunächst nicht daran gedacht weiterzuschreiben, denn ich hatte andere Projekte, aber irgendwann wurde der Wunsch zu meinem eigenen und ich habe mich auf den Weg gemacht und die „Grenzwege“ geschrieben. Ich habe in beiden Büchern bewusst die begrenzte Perspektive des Kindes bzw. der Jugendlichen und die Ich-Form des Erzählens gewählt, um in der Gestaltung von Erinnerungen die Freiheit des Fiktionalen nutzen zu können.

Das Ende von „Grenzwege“ ist offengehalten. Werden die junge Protagonistin und ihre Eltern den Neuanfang schaffen?

Lily wird in Frankfurt/Main zunächst bei ihrer Tante unterkommen. Sie muss noch einmal ein halbes Jahr die Schulbank drücken, damit das Abitur aus der DDR anerkannt wird, und kann dann endlich studieren.

Ihre Eltern aber werden es sehr viel schwerer haben, in Westdeutschland Fuß zu fassen.


„Grenzwege“ besticht ganz besonders durch seinen wunderbar poetischen Schreibstil. Haben Sie literarische Vorbilder?

Es freut mich, dass Sie den Stil als poetisch empfinden. Ich schreibe sehr spontan und mache vorher keine Entwürfe oder Pläne, kann also nicht sagen, dass ich einen poetischen Duktus bewusst anstrebe, aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, fällt mir ein, dass ich vor der Prosa ausschließlich Gedichte geschrieben habe. Und in den Gedichten ging es immer darum, einen Raum zu schaffen für das, was zwischen den Zeilen steht, also auch das Unausgesprochene, Gefühlte und das Mehrdeutige ahnen zu lassen. Von daher rührt wohl auch meine Neigung, viel zu streichen und zu feilen.

Direkte Vorbilder, denen ich nachstrebe, habe ich nicht. Ich bewundere sehr viele unterschiedliche Autorinnen und Autoren, die ganz anders schreiben als ich. Aber es gibt Bücher, denen ich mich in meiner Art zu schreiben nahe fühle, ohne dass ich mich mit ihnen messen möchte. Das sind Bücher, die in einem begrenzten Umfang Wesentliches erzählen können. Ich denke da z. B. an Maria Barabals „Wie ein Stein im Geröll“, an Raymund Carvers Erzählungen, an Salingers „Der Fänger im Roggen“, Tabuccis „Erzählt Pereira“, Aitmatows „Dschamilja“ und andere mehr.


Was verbindet Sie heute noch mit Berlin?

Wenn ich nach Berlin komme und den Berliner Sound und Witz höre, dann spüre ich ein Gefühl des Vertrauten, und obwohl mein Lebensmittelpunkt schon lange woanders liegt, so ist es doch immer wie ein Nachhausekommen.

hier in berlin hier in berlin bin ich zu gast in meinen kindertagen ich steh im schatten einst zerstörter häuser und schmecke lang vergessnen feuerschein in langen straßen hallt das echo früher schritte wir spielen hopse unterm kinderhimmel jagen den tag in rollschuhn ums karree der krieg ist unser spielgefährte er spielt versteck in kellern und in bunkern er wirft uns scherben in das bett wir pfeifen unsre spatzenlieder wir nähren uns von brot und brausepulver das seufzen der erwachsnen pflastert unsre knie hier in berlin bin ich zuhaus in meinen kindertagen die asche meiner mutter schneit als stiller herzschlag auf mich nieder


„Grenzwege. Eine Jugend im geteilten Deutschland“ gibt es ab dem 25. März 2023 überall dort, wo es Bücher gibt. Sie können das Buch schon heute bei uns im Webshop oder in der Buchhandlung Ihres Vertrauens vorbestellen.



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